So geht Payroll
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Foto: Erstellt mit Midjourney.
Die Entgeltabrechnung in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Transformation durchlaufen. Was einst eine administrative Routineaufgabe mit hohem manuellen Arbeitsanteil war, ist heute ein hochautomatisierter Prozess mit stetig steigender Komplexität. Die Kernaufgabe der korrekten und termingerechten Lohnabrechnung bleibt zwar unverändert, doch die Wege dahin haben sich revolutioniert.
In den frühen Jahren der Entgeltabrechnung war das System noch grundlegend analog. Mitarbeiter bzw. Kunden übermittelten ihre Änderungen und neuen Daten auf dem Postwege. Diese wurden von Datentypisten manuell in das System erfasst, das auf einem zentralen Großrechner lief. Ein- bis zweimal täglich konnten Sachbearbeiter die ausgedruckten Listen und Fehlermeldungen abholen, diese telefonisch bearbeiten und notwendige Korrektionen vornehmen. Trotz dieser primitiven Prozesse war das Ergebnis am Ende das gleiche wie heute: eine korrekte Entgeltabrechnung für den Mitarbeiter.
Die verfügbaren Technologien waren bescheiden. Ein PC ohne Festplatte diente lediglich als Zugangsgerät zum Großrechner, eine echte Speicherkapazität auf dem lokalen Gerät war nicht vorhanden. Dennoch funktionierte das System, wenn auch langsam und mit erheblichem Aufwand.
Die technologischen Fortschritte der letzten 30 Jahre haben vor allem eine drastische Steigerung der Effizienz und der Verarbeitungsgeschwindigkeit bewirkt. Frontend-Systeme, Cloud-basierte Lösungen und moderne Kommunikationskanäle ermöglichen es heute, die Schlagzahl der Abrechnungen massiv zu erhöhen. Mehr Änderungen können schneller verarbeitet werden, mehr Anfragen gleichzeitig beantwortet werden.
Ein bedeutsamer Fortschritt ist die Echtzeitabrechnung. Während früher Stichtage wie der 15. des Monats hart eingehalten werden mussten, können Unternehmen heute bis unmittelbar vor der Aktivierung noch Änderungen vornehmen und die Auswirkungen sofort sehen. Diese kontinuierliche Berechnung aller Abrechnungswerte, inklusive der für Meldungen relevanten Sätze, bringt mehr Flexibilität für die Unternehmen. Doch auch die Mitarbeiter profitieren, denn sie müssen nicht mehr einen ganzen Monat auf die Ergebnisse einer Änderung warten.
Die Rechtsprechung hat diese Entwicklung unterstützt: Das Bundesarbeitsgericht hat im Januar 2025 entschieden, dass digitale Entgeltabrechnungen ohne ausdrückliche Zustimmung der Mitarbeiter rechtssicher bereitgestellt werden dürfen. Dies beseitigt eine wichtige Hürde für die vollständige Digitalisierung.
Obwohl die technischen Verbesserungen die Effizienz erheblich gesteigert haben, ist nicht weniger Arbeit entstanden – sie hat sich nur verlagert. Ein Sachbearbeiter kann heute deutlich mehr Abrechnungen realisieren als früher. Doch gleichzeitig sind die Anfragenmengen nicht gesunken, sondern gestiegen. Die permanente Erreichbarkeit, die Vielzahl von Kommunikationskanälen (E-Mail, Team-Chats, Tickets, Telefon) und die höheren Kundenerwartungen haben dazu geführt, dass die Entlastung durch bessere Technologie durch eine gesteigerte Geschwindigkeit und höhere Anforderungen aufgezehrt wird.
Kai behauptet: Payroll ist Geil!Ein zentrales Problem ist das deutsche Prinzip der Besitzstandswahrung. Wenn neue Regelungen eingeführt werden, können alte Regelungen nicht einfach abgelöst werden. Das führt zu einer ständigen Akkumulation: Neue Regeln kommen hinzu, alte verschwinden nicht, Tarifverträge überlagern sich, Betriebsvereinbarungen häufen sich an.
Besonders anschaulich wird dies bei der Analyse von Individualisierungen. Ein beispielhafter Fall ist das dienstliche Fahrrad, denn hier gibt es unzählige Varianten bei der Abbildung. Die Unterschiede liegen nicht nur in der Lohnartenkonfiguration, sondern auch in der Verbuchung und der Darstellung auf der Abrechnung. Kunden verlangen maßgeschneiderte Lösungen für scheinbar standardisierte Produkte, während Dienstleister gleichzeitig Best Practices empfehlen sollen.
Historisch war die Entgeltabrechnung ein zentrales und hohes Gut im Unternehmen. Die Abrechnungsabteilung war oft direkt unter dem Vorstand angesiedelt und hatte großes Gewicht. Das hat sich grundlegend geändert. Heute ist die Payroll so selbstverständlich geworden wie Strom aus der Steckdose. Sie wird erwartet, ohne dass über sie nachgedacht wird. Doch wehe, es geht etwas schief.
Das ist insofern ein Problem, als es die tatsächliche Komplexität und das damit verbundene Risiko unterschätzt. Mit den geltenden Steuer- und Sozialversicherungsgesetzen, plus Tarifverträgen, plus Betriebsvereinbarungen, plus individuellen Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge ist eine korrekte Entgeltabrechnung alles andere als banal. Viele Unternehmen unterschätzen das und erwachen regelmäßig böse bei der nächsten Betriebsprüfung.
Die Entgeltabrechnung alles andere als banal!
Mit der Veränderung der Gewichtung kam auch eine Verschiebung der Anforderungen. Während früher der Lohnbereich als eigene Abteilung fungierte, liegt der Fokus heute auf HR insgesamt. Kennzahlen und KPIs aus dem Personalmanagement sind wichtiger als die reine Abrechnung, die „nur" korrekt sein muss.
Unternehmen wünschen sich heute weniger reine Abrechnungslösungen, sondern eher integrierte All-in-One-Systeme. Sie wollen den Mitarbeiter nicht nur durch seine Abrechnungsdaten sehen, sondern ganzheitlich: Soft Skills, Schulungen, Karrierepfad, weitere HR-Daten. Diese Anforderung ist besonders bei größeren Unternehmen ausgeprägt, kleinere Betriebe kommen oft weiterhin mit grundlegenderer Funktionalität aus.
Der Markt für Payroll-Outsourcing wächst kontinuierlich, die Gründe dafür sind vielfältig. Der Fachkräftemangel sowie explodierende Compliance-Risiken stehen auf dieser Liste ganz oben. Alleine diese beiden Faktoren treiben immer mehr Unternehmen zur Auslagerung der Lohnabrechnung.
Externe Dienstleister übernehmen zu Teilen auch das Haftungsrisiko, ein nicht zu unterschätzender Punkt. Wenn das System nicht auf aktuellem Stand ist, wenn Fehler passieren, trägt der Dienstleister die Verantwortung. Das Unternehmen hat Sicherheit bezüglich seiner Ausfallrisiken und Weiterbildungsrisiken.
Die Beobachtung von Dienstleistern zeigt ein klares Bild: Die meisten Kunden wollen mit dem administrativen Aufwand der Payroll nichts zu tun haben. Das Risiko ist ihnen zu hoch, das vorzuhaltende Wissen zu aufwendig, und die Fehleranfälligkeit zu gefährlich. Sie geben lieber die Aufgabe an einen Spezialisten, der mit aktuellen Tools arbeitet, permanente Compliance sicherstellt und Verantwortung übernimmt.
KI wird vielerorts als „Gamechanger“ für die Payroll-Industrie angesehen. Jedes Unternehmen weiß, dass KI den Arbeitsalltag verändern wird. Doch in welchem Ausmaß?
Viele Anbieter sind bereits dabei, KI in ihre Systeme zu integrieren. Die ersten KI-Bots werden intern eingesetzt, um Sachbearbeiter zu entlasten. In Softwareprodukte werden KI-basierte Funktionen eingebaut.
Die Einsatzbereiche sind vielfältig und bereits teilweise Realität:
KI kann analysieren, welche Eingaben im System gemacht werden und Sachbearbeiter warnen, wenn eine bestimmte Kombination noch nie vorgekommen ist oder ungewöhnlich wirkt. Wenn man über einzelne Kunden hinausdenkt und Muster über viele Kunden vergleicht, kann KI sagen: „Bei einer Pfändung ist diese Feldkombination eher unlogisch" und auf bekannte beste Praktiken hinweisen.
Automatische Erkennung von Fehlern und Korrekturvorschläge sind bereits möglich und teilweise im Einsatz.
Der größte Mehrwert liegt im Service. Wenn Kunden Anfragen stellen, die normalerweise über Tickets kommen, kann KI helfen, diese sehr schnell zu bearbeiten. Sie kann auf interne Datenbanken (Gesetzestexte, Kundendokumentation) zugreifen und präzise Antworten generieren, die vorher noch von Spezialisten validiert werden. Der Kunde braucht sein Problem nur einmal zu adressieren und erhält eine Antwort, die dem Niveau eines langjährigen Experten entspricht – unabhängig davon, wer den Anruf entgegennimmt.
Studien zufolge berichten Unternehmen mit derart automatisierten Prozessen in der Payroll die Payroll von erheblichen Effizienzsteigerungen.
Bei aller Begeisterung für Automatisierung wollen Menschen nicht mit KI-Bots sprechen. Wenn ein Mitarbeiter oder ein Kunde ein Problem hat, möchte er mit einem Menschen sprechen. Diese Hürde ist derzeit gewaltig.
Praktische Erfahrungen zeigen die Probleme: Wenn ein Customer Service System schlecht konfiguriert ist und nur in eine bestimmte Richtung denkt, dann kann der Kunde sein Problem nicht ausdrücken. Er klickt sich 30 Mal durch ein unpassendes Formular, um am Ende doch eine Telefonnummer zu erhalten. Die Frustration ist maximal.
Heute gibt es noch einen großen Anteil an Tätigkeiten, die höchst ineffizient sind. Sachbearbeiter tippen noch immer Belege ab, um die Daten ins System zu bringen. Das ist eine klassische Aufgabe, die automatisiert werden sollte und wird. Ein gut ausgebildeter Payroll-Spezialist sollte nicht mit dem Abtippen von Belegen seine Zeit verbringen.
Dieses wird sich verändern. Aber das heißt nicht, dass der Sachbearbeiter überflüssig wird; er wandelt nur sein Profil vom reinen Datenerfasser zu einem Spezialisten, der die Gesamtprozesse versteht und überwacht. Im Ergebnis ist der Payroll-Consultant im Kommen.
Die Branche wird kontinuierlich von außen geprägt – neue Gesetze, neue Tarifverträge, neue Regelungen. Wer sich nicht anpassen kann oder will, wird Schwierigkeiten haben. Doch wer offen für Neues ist, für neue Tools und ein neues Arbeitsbild, der bleibt dabei.
Das World Economic Forum prognostiziert, dass bis 2027 etwa 65 Prozent aller Informations- und Datenverarbeitungsaufgaben automatisiert sein werden. Das klingt bedrohlich, doch in der Realität werden viele Aufgaben nicht wegfallen, sondern nur verändert. Es wird immer Sonderfälle geben, Fehler zu korrigieren und Prozesse zu überwachen.
Früher war das Tagesgeschäft überschaubar. Die Post des Tages kam herein, wurde verarbeitet, der Tag war abgehakt. Das hat sich radikal gewendet. Es gibt keine Ruhezeiten mehr, Anfragen kommen rund um die Uhr herein. Der Sachbearbeiter wird nie fertig. Es ist ein Laufband ohne Pause.
Die Erleichterungen durch technischen Neuerungen werden durch die gestiegene Geschwindigkeit aufgezehrt, denn heutzutage soll alles sofort gehen. Multiple Kommunikationskanäle bedeuten multiple Eingangskanäle, auf denen gleichzeitig Anfragen auflaufen. Das führt zu permanenter Multitask-Bewältigung und Stress.
In vielen Unternehmen können noch immer nur bis zum 15. eines Monats Änderungen an die Lohnabteilung gestellt werden, danach werden keine neuen Daten mehr angenommen. Damit verliert man faktisch die Hälfte des Monats für neue Eingaben. Mit Echtzeitabrechnung könnte dies wegfallen. Man könnte eine Stunde vor der finalen Datenbereitstellung noch eine Neueinstellung durchführen. Das bringt echte Flexibilität, ist aber auch ein Paradigmenwechsel, den viele Unternehmen noch nicht vollzogen haben.
Die zentrale Frage für Dienstleister und Softwareanbieter lautet: Was brauchen unsere Kunden wirklich? Die Antwort ist nicht immer das, was Technik-Enthusiasten gerne bauen würden. Unternehmen haben gerade mit Blick auf die Payroll sehr unterschiedliche Anforderungen, je nach Größe, Industrie und Struktur. Ein Kleinunternehmen mit 10 Mitarbeitern hat völlig andere Bedürfnisse als ein Mittelständler oder ein Konzern.
Es gibt Unternehmen, die nur eine Entgeltabrechnung brauchen. Andere wollen auch HR-Funktionen. Wieder andere möchten Mitarbeiter aktiv in HR-Prozesse einbinden. Manche haben bereits ein bestehendes HR-System, das integriert werden muss. Andere brauchen eine komplette All-in-One-Lösung.
Es gibt Dienstleister, die haben genau eine Antwort: Nimm mein Produkt. Ich habe eine Lösung, die kann alles, die wird bei dir passen. Das funktioniert oft nicht.
Die Payroll in Deutschland ist und bleibt ein Mikrokosmos der Komplexität unseres Staatswesens. Der Regulierungsdschungel wird nicht kleiner. Die Individualisierung ist oft größer als die Standardisierung. Das Tempo der Veränderungen nimmt zu.
Gleichzeitig gibt es echte Innovationen wie Echtzeitabrechnungen, KI-unterstützte Prozesse, integrierte HR-Systeme und intelligente Kundenberatung. Die Technologie wird einfache Aufgaben automatisieren, Ressourcen für komplexere Aufgaben werden freigesetzt.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der Technologie allein, sondern in der Haltung. Zuhören, verstehen und kundenorientiert handeln. Die beste Software hilft nicht, wenn man die Bedürfnisse des Kunden nicht versteht.
Die Aufgaben der Payroll-Fachleute werden nicht verschwinden, aber sie werden sich verändern. Wer sich anpassen kann, hat eine sichere Zukunft. Unternehmensseitig wird das Outsourcing wohl auf Sicht weiter zunehmen, weil die Komplexität und die Risiken für viele Unternehmen ansonsten zu hoch sind. Dienstleister in der Branche werden dann besonderen Erfolg haben, wenn sie neben der Technologie auch die Bedürfnisse der Kunden einbeziehen.
Die Payroll ist zumindest auf den ersten Blick nicht sexy, sondern selbstverständlich. Aber genau darin liegt ihre Bedeutung, denn eines ist klar: wenn der Lohn nicht läuft, geht gar nichts mehr.
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ÜBER DIE AUTORIN

Sina Schmidt
Sina ist Steuerberaterin und berät Mandanten zu komplexen steuerlichen Fragestellungen.
Doch das ist noch nicht alles, denn sie leitet auch ein Lohnservice-Team und ist der Payroll stark verbunden. Diese seltene Kombination macht sie zu einer wertvollen Ansprechpartnerin.
Durch ihre Expertise verbindet sie Steuerberatung und Payroll-Wissen zu einer ganzheitlichen Beratungsleistung. Sina arbeitet bei LPJ - Tax Law Transformation.
ÜBER DIE AUTORIN

Dr. Michaela Felisiak
ÜBER DEN AUTOR

Dr. Dominik Sorber
Dominik ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei POELLATH + Partners.
Er berät deutsche und internationale Unternehmen in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.
Ferner ist er Autor zahlreicher fachlicher Aufsätze und tritt als Referent bei Fachkonferenzen auf. Zudem engagiert er sich als Experte für innovative Mandantenberatung in den Bereichen Arbeitsrecht und Beschäftigtendatenschutz.
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Stephan Timper
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Martin Stolzenburg | Mister bAV®
Martin hat sich Ende der 1990er Jahre auf die betriebliche Altersvorsorge spezialisiert und ist heute als „Mr. bAV®“ bekannt.
Er berät seit fast 30 Jahren Unternehmen und ihre Beschäftigten zur bAV und kann als unabhängiger Makler in die jeweilige bAV-Historie einsteigen sowie anschließend alte und neue Verträge gleichermaßen betreuen.
ÜBER DEN AUTOR

Markus Matt
Markus ist HR-Fachjournalist und Dipl. Betriebswirt. Er ist seit 25 Jahren in der deutschen Personalszene unterwegs und hat die Branche aus verschiedenen Blickwinkeln kennengelernt, nahezu durchgängig mit einem klaren Fokus auf die Welt der Entgeltabrechnung.
Mehr als Jahrzehnt war er Chefredakteur eines HR-Fachmagazins- Außerdem hat er sich einen Namen als Autor, Moderator und Podcaster gemacht. Markus ist Inhaber einer Unternehmensberatung.
ÜBER DEN AUTOR

Kai Fröhling
Kai ist ein erfahrener Payroll-Experte und Fachdozent mit Schwerpunkt. Als PAYROLL KOLLEGE® betreibt er einen YouTube-Kanal und zudem gemeinsam mit Markus den Podcast „So geht Payroll“, auf dem er komplexe Themen der Gehaltsabrechnung verständlich erklärt.
Der gelernte Konditor und Bürokaufmann entdeckte vor rund 10 Jahren seine Leidenschaft für die Entgeltabrechnung, die ihn nie wieder losließ. Seine Mission ist: „Dinge einfach machen!“

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